20. Mai 2017, 18:30 Uhr Vorlesung, Wiener Festwochen 2017 AK Wien Bildungszentrum, Theresianumgasse 16-18, 1040 Wien
Giorgio Agamben sagte in einem Interview, Denken sei ››der Mut der Verzweiflung‹‹ – eine Erkenntnis, die insbesondere auf diesen historischen Moment zutrifft, in dem auch die pessimistischste Diagnose regelmäßig mit dem aufmunternden Verweis auf die eine oder andere Version des sprichwörtlichen Lichts am Ende des Tunnels endet. Wahrer Mut besteht nicht in der Vorstellung einer Alternative, sondern darin, die Konsequenzen der Tatsache zu akzeptieren, dass es keine klar erkennbare Alternative gibt: Der Traum von einer Alternative ist ein Zeichen theoretischer Feigheit, er dient als Fetisch, der uns daran hindert, die Ausweglosigkeit unserer Zwangslage zu Ende zu denken. Kurz, wahrer Mut besteht darin, zuzugeben, dass das Licht am Ende des Tunnels höchstwahrscheinlich die Scheinwerfer eines anderen Zuges sind, der uns entgegenkommt. Dieser Zug tritt in jüngster Zeit in fünffacher Gestalt auf: als neuerliche fundamentalistisch-terroristische Bedrohung (die Kriegserklärung gegen ISIS, Boko Haram …), als geopolitische Konflikte mit und zwischen neuen, nicht-europäischen Mächten (China und vor allem Russland), als Aufstieg neuer, radikaler Befreiungsbewegungen in Europa (derzeit in Griechenland und Spanien), als Flüchtlingsstrom über die Mauer, die „uns“ von „denen“ trennt, als Ausbruch eines massiven Populismus in allen Industrieländern. Es ist wichtig, diese Gefahren in ihrem Zusammenhang zu sehen – nicht als die fünf Gesichter ein und desselben Feindes, sondern als Ausdruck verschiedener Aspekte des gleichen immanenten „Widerspruchs“ des globalen Kapitalismus.



© Foto: Jela Krečič

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